30 April 2021

Familienaufstellung in Elfchen


Vater
Der Denker
Du unser Vorbild
Über den Tod hinaus
Oben

Kalt
Die Mutter
Liegt im Grab
Nur von Würmern umgeben
Allein

Drei
Brüderlich verbunden
Vom Winde verweht
In ihrem Charakter verschieden
Auseinander

Dazugekommen
Alle anderen
In elliptischer Satellitenbahn
Mal weiter mal näher
Peripher

WhatsApp
Die Verbindung
Schreiben statt reden
Der Rest bleibt verborgen
Skurril

23 April 2021

Frühstück mit Meise

Meine Frau ist aufgestanden und läuft in die Küche rüber, um sich noch einen Kaffee zu machen. Ich sitze noch vor meinem Joghurt, nehme einen Schluck Wasser und nutze die freie Zeit, indem ich WhatsApp-Nachrichten lese. Greife in die Tasche, um mein Handy herauszuholen, aber es ist nicht da. Es hängt noch im Arbeitszimmer am Ladegerät. Ich bin ohne Smartphone.

Ich bleibe sitzen, die nächsten zwei Minuten werde ich ohne auskommen. Aber es ist auch keine Zeitung in Reichweite, kein Radio läuft, kein Fernseher oder sonstiges Equipment weit und breit. Ich bin auf mich allein gestellt.

Es ist keine Panik, die mich ergreift. Obwohl. Ein bisschen schon. Was mache ich denn jetzt mit mir? Geht es mir wie seinerzeit dem Manager, der im Cluburlaub wie ein werdender Vater am Pool auf und ab lief, weil es hier für ihn nichts zu managen gab und er mit der Beschäftigung mit Frau und Tochter total überfordert war? Kann ich keinen Moment ohne Impulse und Jagd und Termine und „sinnvoller“ Nutzung der Zeit leben?


Nur einen Moment lang. Dann fällt mein Blick durchs Fenster auf die Magnolie, eine Meise sitzt in den Ästen, ohne sie hören zu können kann ich erkennen, dass sie zwitschert. Ich frage mich, was sie gerade denkt, ob sie auch frühstückt, was für sie den Start in den Tag schön macht und ganz besonders, ob sie denn gut geschlafen hat oder mit Rückenschmerzen aufgewacht ist.

Meine Frau kommt zurück, ihren Cappuccino in der Hand, lächelt mich an und ich zeige auf die Meise und erzähle von den Rückenschmerzen des Vogels, der nach dem gestrigen Ausflug eine Verspannung hat und heute ein wenig kürzer fliegen muss. Wir lachen beide über diese kleine Ausschmückung der Geschichte und starten in den Arbeitstag.

17 April 2021

Traum eines Schriftstellers

Oh Du, meine Muse,
küß‘ mich.
Nicht auf den Mund.
Küß‘ meinen Geist.

Oh Du, meine Muse,
befruchte mich.
Erst die Ideen,
dann deren Formulierung.

Oh Du, meine Muse,
inspiriere mich.
Mein Gedankenstrom
braucht Dich als Schleuserin

Oh Du, meine Muse,
zerstreue mich.
In Deinem Wesen
finde ich Entspannung.



02 April 2021

Corona im Paradies

Stehe ich also an der Himmelspforte und sehe mich unvermittelt der Erzengelin Michaela gegenüber, die mir mit ihrem Flammenschwert den Eintritt ins Paradies verwehrt.

Ich bin ein wenig ungehalten, habe ich mich doch angemeldet und nach eigener Einschätzung auch die Zutrittsbedingungen erfüllt. Aber wie so oft im Tod kommt es anders als man vorher nicht gedacht hat. Denn Michaela schaut mich eine Weile an, setzt eine bedauernde Miene auf und erklärt dann die aktuelle Situation.

Tatsächlich werden derzeit überhaupt keine Bewohner des Planeten Erde ins Paradies gelassen. Sie gehören zu einer Risikogruppe, und laut göttlicher Verfügung müssen die Antragsteller*innen – auch wenn sie maskiert sind – abgewiesen werden. Zu groß ist die Sorge, dass an diesem besonderen Ort auch Corona ausbricht und damit die paradiesischen Zustände empfindlich gestört werden, bis diese unter Ächzen höllische Züge annehmen.

Leider kann diese Abschottung auch leicht noch 100 Erdenjahre dauern, Zeit spielt ja hier keine Rolle und – Michaela senkt die Stimme – die Paradieslinge sind ohnehin nicht gerade erpicht auf Neuzugänge.

Enttäuscht höre ich mir die Erläuterungen an, auch das Bedauern in der Stimme bei den Worten „mir sind da die Hände gebunden“ und Fetzen wie „Aufsichtsbehörde“, „Anweisung von oben“ und „ich bitte um ihr Verständnis“ klingen in meinen Ohren wenig überzeugend.

Leider lässt sich die Erzengelin auf keine Diskussion ein und verweist mich auf die Chance nach dem nächsten Leben. Ich solle es bitte nicht persönlich nehmen und dann: „Der Nächste, bitte!“.