denn der Jahrmarkt sollte sich schon nach außen ganz
deutlich von den anderen Märkten und Feiern unterscheiden. Vor einer Woche waren
sie dann gekommen: Ein langer Zug von Schaustellern, Losbuden,
Zuckerverkäufern, allerlei beweglichen Belustigungen und Künstlern. In wenigen
Tagen waren die Stände aufgebaut, auch wurden Lichterketten aufgehängt, in die
die grauen Lampen eingeschraubt wurden. Dann starb das Gelände noch einmal für
einen Tag aus, an dem alle mit Plakaten, Handzetteln und Flugblättern durch die
Stadt zogen.
Und die Werbung war erfolgreich, denn schon morgens war der
Marktplatz besucht, selten waren so viele Leute gekommen, die jetzt eine Masse
bildeten. Zähflüssig und schweigend schwappte die Masse durch die Gassen
zwischen den Buden, die sicherheitshalber wegen der vielen Leute durch Glasscheiben
von dem Durchgang abgetrennt waren. Musik war diesmal nicht eingeladen worden
und auch den einzelnen Buden war es verboten, Musik zu machen oder ihre Ware
lautstark anzupreisen. So pressten die Leute ihre Nasen gegen die Scheiben, hinter
denen die Budenbesitzer ihre Ware ausgelegt hatten und ganz, als hätten sie
einen unsichtbaren Kunden, bald dieses und bald jenes Stück aus der Auslage
griffen, um es besser zeigen zu können.
Die Zuckerwarenhändler wogen ganz nach fiktiven
Kundenwünschen verschiedene Süßigkeiten ab und verpackten sie in kleine
Papiertütchen, um dieselben dann wieder in das Fach zu entleeren, aus dem sie
eben gekommen waren. Auch bei den Autoscootern konnte man zusehen. Hier wurden
durch ein enges Loch die Leute hineingetrieben, dabei durfte einer hinein, wenn
einer hinausging, wodurch der Durchgang noch beengter wurde. Die Fahrer der kleinen
Autos waren nicht fröhlich, vielmehr schien es fast, als wollten sie hier ihre
Aggressionen abbauen.
Wer hier war, der musste sich auch das Riesenrad ansehen und
darauf fahren, denn es war die Hauptattraktion. Das Besondere war, dass dieses
Riesenrad keinen Motor besaß und von nur einem alten Mann angetrieben wurde. Er
saß in seinem Stuhl und las ein Buch, während der leise schaukelte. Von Zeit zu
Zeit blickte er auf, als ob er sehen wollte, ob das Rad noch da wäre. Er war
durch Zäune von der Menge abgetrennt und es bedurfte kräftiger Arme und Beine, falls
man ihn etwas näher sehen wollte. Wenn man dann am Zaun stand, und durch die
Drähte sah, konnte man erkennen, dass er die Zähne zusammengebissen hatte, das
Gesicht vor Schmerz verzerrt, während er schaukelte und das Rad sich langsam,
ganz langsam weiterdrehte. Man meinte im Hintergrund das Grinsen des Personals
zu sehen, das sich aus der Menge die Dicksten und Schwersten aussuchte, damit
der Alte auch ordentlich zu tun hatte.
Wenn er dann nicht schnell genug schaukelte oder er eine
kurze Pause einlegte, durchfuhr es ihn wie einen Schlag, wobei das Personal jedes
Mal lautlos lachte. Wieder bimmelte das Glöckchen als Signal, dass eine Kabine neu
besetzt werden konnte und ein kleiner Junge stand am Eingang und wollte fahren.
Doch ein Mann mit schwarzer Binde um den Hals schob ihn zur Seite und zeigte
auf eine beleibte Frau, die etwas hinter ihm stand und sich jetzt durch die
Menge schob.
Der Alte weinte jetzt vor sich hin. Es war wirklich kein
Spaß für Kinder.
[08/1986]
[Andere Blogs: Interdisziplinäre Gedanken, Dienstliche Glossen]
Und das ist schon von 1986?
AntwortenLöschen