12 März 2021

Der Vorsteher hatte graue Lampen austeilen lassen

denn der Jahrmarkt sollte sich schon nach außen ganz deutlich von den anderen Märkten und Feiern unterscheiden. Vor einer Woche waren sie dann gekommen: Ein langer Zug von Schaustellern, Losbuden, Zuckerverkäufern, allerlei beweglichen Belustigungen und Künstlern. In wenigen Tagen waren die Stände aufgebaut, auch wurden Lichterketten aufgehängt, in die die grauen Lampen eingeschraubt wurden. Dann starb das Gelände noch einmal für einen Tag aus, an dem alle mit Plakaten, Handzetteln und Flugblättern durch die Stadt zogen.

Und die Werbung war erfolgreich, denn schon morgens war der Marktplatz besucht, selten waren so viele Leute gekommen, die jetzt eine Masse bildeten. Zähflüssig und schweigend schwappte die Masse durch die Gassen zwischen den Buden, die sicherheitshalber wegen der vielen Leute durch Glasscheiben von dem Durchgang abgetrennt waren. Musik war diesmal nicht eingeladen worden und auch den einzelnen Buden war es verboten, Musik zu machen oder ihre Ware lautstark anzupreisen. So pressten die Leute ihre Nasen gegen die Scheiben, hinter denen die Budenbesitzer ihre Ware ausgelegt hatten und ganz, als hätten sie einen unsichtbaren Kunden, bald dieses und bald jenes Stück aus der Auslage griffen, um es besser zeigen zu können.

Die Zuckerwarenhändler wogen ganz nach fiktiven Kundenwünschen verschiedene Süßigkeiten ab und verpackten sie in kleine Papiertütchen, um dieselben dann wieder in das Fach zu entleeren, aus dem sie eben gekommen waren. Auch bei den Autoscootern konnte man zusehen. Hier wurden durch ein enges Loch die Leute hineingetrieben, dabei durfte einer hinein, wenn einer hinausging, wodurch der Durchgang noch beengter wurde. Die Fahrer der kleinen Autos waren nicht fröhlich, vielmehr schien es fast, als wollten sie hier ihre Aggressionen abbauen.

Wer hier war, der musste sich auch das Riesenrad ansehen und darauf fahren, denn es war die Hauptattraktion. Das Besondere war, dass dieses Riesenrad keinen Motor besaß und von nur einem alten Mann angetrieben wurde. Er saß in seinem Stuhl und las ein Buch, während der leise schaukelte. Von Zeit zu Zeit blickte er auf, als ob er sehen wollte, ob das Rad noch da wäre. Er war durch Zäune von der Menge abgetrennt und es bedurfte kräftiger Arme und Beine, falls man ihn etwas näher sehen wollte. Wenn man dann am Zaun stand, und durch die Drähte sah, konnte man erkennen, dass er die Zähne zusammengebissen hatte, das Gesicht vor Schmerz verzerrt, während er schaukelte und das Rad sich langsam, ganz langsam weiterdrehte. Man meinte im Hintergrund das Grinsen des Personals zu sehen, das sich aus der Menge die Dicksten und Schwersten aussuchte, damit der Alte auch ordentlich zu tun hatte.

Wenn er dann nicht schnell genug schaukelte oder er eine kurze Pause einlegte, durchfuhr es ihn wie einen Schlag, wobei das Personal jedes Mal lautlos lachte. Wieder bimmelte das Glöckchen als Signal, dass eine Kabine neu besetzt werden konnte und ein kleiner Junge stand am Eingang und wollte fahren. Doch ein Mann mit schwarzer Binde um den Hals schob ihn zur Seite und zeigte auf eine beleibte Frau, die etwas hinter ihm stand und sich jetzt durch die Menge schob.

Der Alte weinte jetzt vor sich hin. Es war wirklich kein Spaß für Kinder.

[08/1986]

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