Ich schwimme seit ich auf der Welt bin. Die erste große Welle direkt bei der Geburt, durch den Kanal hindurch ans Tageslicht.
Das erste Ziel der Entwicklung erreicht. Ich bin von meiner Mutter dazu gebracht worden, etwas zu beginnen, was man Leben nennt.
Es beginnt mit künstlichem Auf und Ab. Stunden zwischen Mutterbrust, Schlaf und Beobachtung der Welt.
Krabbeln und die Umgebung erkunden, nur unterbrochen vom sorgsam vorbereiteten Bad in der Wanne.
Ein wenig unsicher auf den wackeligen Beinen, vom Menschstrom höflich umrundet.
Plantschen im Bach mit den Spielkameraden, Bau von Dämmen und stolzieren in viel zu großen Gummistiefeln.
Schule. Umgeben von Anderen in meinem Alter, umringt von Lehrern, umsorgt von den Eltern.
Die seichten Wogen der ersten Liebelei. Ein undefinierbares Prickeln, gelegentlich ein paar bislang ungekannte Gedanken.
Steigerung des Wellengangs zwischen euphorischer Begeisterung und tieftrauriger Enttäuschung. Pubertät eben.
Untiefen im Gewässer, immer wieder Gelegenheiten auf Grund zu laufen, in die Loreley vernarrt auf die falsche Bahn zu geraten. Drogen, Alkohol und allerlei illegale Gelegenheiten.
Rollen und Stampfen im Seegang der ersten festen Beziehung, der ersten Stelle, des ersten Ortswechsels.
Mal kurze Beruhigung, ablandiger Rückenwind mit zügiger Fahrt auf das offene Meer hinaus mit all seinen Herausforderungen, Verlockungen, fremden Ländern und Geschichten.
Seitenwind, Gegenwind, Umzug, Beziehungswechsel, neue Stelle, Kind und Kegel.
Böiger Wind aus wechselnden Richtungen, große Fahrt auf freiem Wasser, mal mit stolz in See stechendem Bug, mal mit beängstigender Schlagseite.
Vor Anker gegangen, Taucheranzug an, rein ins Wasser und ein Blick durch die dicke Schwimmbrille auf die Unterwelt.
Nach Verbrauch von reichlich Sauerstoff und umringt von bunten Fischen, giftigen Meeresbewohnern und stacheligen Pflanzen wieder zurück an Deck.
Sanftes Schaukeln, sanfte Brise ohne merklichen Wellengang. Pause, Midlife-Crisis.
Doch dort hinten am Horizont wieder ein Ziel, Anker gelichtet, das Fernglas vor den Augen und wieder Fahrt aufgenommen.
Die Tage kommen, sie gehen, unzählige Nächte mit immer seltsameren Träumen.
Das letzte Stück kann ich auch schwimmen, ich springe wieder mal über Bord, vielleicht habe ich mich bei diesem letzten Ausflug ein wenig verschätzt. Denn gegen den Strom der Zeit kann auch ich nicht schwimmen.
[Andere Blogs: Interdisziplinäre Gedanken - Dienstliche Glossen]
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