27 September 2024

Flüchtling

Flüchtling
Ich bin geflüchtet
Jetzt bin ich hier.

Kein Land des Geistes
Kann mich ausweisen.

Hier darf ich denken
Was ich will.

Meine Gedanken sind
Nicht nur frei.

Große Überlegungen
Gehören nur großen Geistern.

Ideen und neue Welten
Wollen durchdacht und erobert werden

Neues Denkland
Gilt es zu besetzen.

Innovatoren und Vermarkter
Lauern überall

Diebstahl und Missbrauch
Sind an der Tagesordnung

Da hilft nur die Flucht
In die tiefsten Gedanken


20 September 2024

Rendezvous mit dem Mond

Es ist kurz nach acht Uhr, ich schaue aus dem großen Fenster der Panorama-Sauna in die Dämmerung. Am Horizont sehe ich einen ganz leichten Rotton, der sich im abnehmenden Tageslicht recht deutlich abzeichnet. Leise zischt das Wasser des Aufguss auf den heißen Lavasteinen, ein Duft von Lavendel und Minze dringt mir in die Nase.

Wenige Minuten später schaue ich wieder zur Scheibe, diesmal schon deutlicher hat sich der rote Fleck zu einem Halbkreis über dem Horizont entwickelt. Es ist der Mond, im Moment noch nicht vollständig zu sehen, aber demnächst wird er sich als Vollmond zeigen, rot noch.

Wieder ein leises Zischen, ein Luftzug vom großen Fächer, den der Saunameister nutzt, um die Luft über dem Ofen zu verteilen. Und mit der Luft das in Aroma vom Mittelmeer in den Raum bringt.

Rendezvous mit dem Mond

Der Mond zeigt sich jetzt komplett, wenige Zentimeter über der Horizontlinie ist er in voller Größe und rund wie ein Ball in zartem Rot zu erkennen. Ein Mondaufgang mit theatralischer Note, weniger eine Andeutung von Romantik als von Dramatik, wie er da wie das Hintergrundbild einer Hexenshow heller und größer wird.

Zisch! höre ich aus der Richtung des Saunaofens, aber ich kann meinen Blick nicht von diesem Himmelskörper abwenden, der durch die untergehende Sonne und die immer dunkler werdende Landschaft immer deutlicher hervortritt.

Bist du das, frage ich mich, ist das mein Vater, der mir ja symbolhaft als Mond beim Leben zuschaut. Warum ist er heute so rot, ist das ein gutes Zeichen oder habe ich ihn verletzt oder mit meinem aktuellen Lebensweg unzufrieden gemacht?

Ich wende mich ab, schaue in der Schwitzkabine herum, all die nackten Menschen hier, auf einmal fühle auch ich mich nackt, nackt und beobachtet, aber nicht von den anderen Saunagästen, sondern von diesem merkwürdigen roten Fleck am inzwischen nächtlichen Himmel.

Ich weiß, dass ich mir kein Handtuch überwerfen kann, dass es mir auch gar nichts nützen würde, weil du mich trotzdem sehen könntest. So wie ich bin, nicht wie Gott mich geschaffen hat, sondern wie ich mich im Laufe der Jahre entwickelt habe.

Bin ich so klein, wie ich mich jetzt fühle oder ist es überbordende Demut, die mich in eine geradezu depressive Stimmung versetzt? Ich wage doch wieder einen Blick zum Mond und siehe da: jetzt scheint er mich anzulächeln, doch, doch, da sehe ich ein zart angedeutetes Schmunzeln in seinem runden Gesicht und auch das Rot scheint zu verblassen und einem fahlen Weiß zu weichen.

Mut erfasst mich wieder, die innere Prüfung scheine ich bestanden zu haben, fühle mich jetzt wieder stärker und wie aus einer anderen Sphäre höre ich auch wieder die Saunageräusche und die Frage des Saunameisters nach einer weiteren Aufgussrunde. Die anderen Gäste müssen wohl zugestimmt haben, denn Salbei und Orange übernehmen den Duftraum und eine tiefe Entspannung überkommt mich.

13 September 2024

Wochenendlich

"Hallo!"
Etwas missmutig schaue ich auf. Wer stört mich da in meiner Arbeit, lenkt mich von den konzentriert zusammengetragenen Unterlagen ab?
Es ist nichts zu sehen, keine Ahnung, woher die Stimme kam.
Da nochmal: "Hallo!"
Mein Blick wandert durch das Zimmer, aber ich kann die Quelle der Ansprache einfach nicht ausmachen.

"Hallo!... Hallo!... Hallo!"
Langsam wird es lästig, penetrant geradezu. Da meine Konzentration jetzt ohnehin gestört ist, beginne ich darüber nachzudenken, wer oder was mir diesen Streich spielt. Natürlich, jetzt wird es mir klar: Es ist das Headset von meinem Telefon, das habe ich vermutlich nicht richtig auf seine Ladestation zurückgehängt und nun versucht irgendein Kollege mich zu erreichen. Schnell setze ich mir den Kopfhörer auf. Aber da ist nichts zu vernehmen. Nur ein leises Rauschen kündet davon, dass das Gerät im Prinzip funktioniert.

Fast warte ich auf ein erneutes Hallo!, aber ein paar Augenblicke lang herrscht Ruhe. Ich wende mich wieder der Arbeit zu, wo war ich noch stehengeblieben? Kaum habe ich den roten Faden wieder gefunden, den abgebrochenen Vorgang wieder aufgenommen, ist das Geräusch wieder da, diesmal:

Wochenendlich
"Huhu!"
Ich schließe die Augen im Versuch, besser hören und den Ursprung lokalisieren zu können. Und da plötzlich klärt sich die Situation. Mit meinen geschlossenen Augen sehe ich nun ein kleines Männchen, es winkt freundlich mit beiden Armen, holt hinter seinem Rücken eine rote Pappnase hervor und setzt sie sich auf. Wie als Antwort auf meine noch nicht ausgesprochene Frage erklärt es mir "Erkennst du mich nicht? Ich bin es, der Bote des Wochenendes."

Ich öffne wieder meine Augen, schaue auf die Uhr. Tatsächlich, schon nach 17 Uhr und damit Zeit, die Arbeit an diesem Freitag langsam auslaufen zu lassen. Augen zu, wieder das Männchen. Die Pappnase ist verschwunden, dafür hat es jetzt einen absurd großen Ghettoblaster auf den Schultern. Ich bekomme Angst, wenn dieses Monstrum losgeht fliegen mir bestimmt die Ohren weg. Aber zu meiner Überraschung ist es kein Getöse, sondern mitreißende Beats, die mich zum Tanzen animieren sollen.

Ohne die Augen zu öffnen schiebe ich meinen Schreibtischstuhl nach hinten, springe auf und hüpfe auf einem Bein zum Takt der Musik. Um mich tauchen immer mehr Leute auf, meine ganzen Freunde scheinen auch auf der Tanzfläche zu sein und oben am Mischpult kann ich wieder das Männchen entdecken.

Ein Auge riskiere ich. Vor mir der Computer, das Bild zeigt immer noch den vorhin liegengelassenen Arbeitsteil. Die Bildschirmkamera scheint mich kritisch anzuschauen, ich klappe ihr den Deckel herunter. Mit wenigen Mausklicks habe ich alle geöffneten Dateien gespeichert und die Anwendungen geschlossen. Schnell zurück zum Kopfkino, alle Freunde sind noch da, aber wir stehen in einer Schlange vor dem Kino und müssen noch schnell Popcorn und Cola holen.

"Also gut", denke ich, da will ich nicht kneifen. Schließlich habe ich keine Lust, auf einem schlechten Platz zu sitzen. Ich reihe mich in die Warteschlange ein. Mit der notwendigen Konzentration bekomme ich trotz der inneren Unterhaltung mit meiner Nebenfrau den Dienstcomputer ausgeschaltet und muss noch nicht einmal auf die Tastatur schauen. Am verstummenden Geräusch der Festplatte erkenne ich, dass es erfolgreich war und das ist auch gut, denn die Kinokasse rückt näher.

Doch jetzt muss ich doch noch mal einen Blick auf die Szene werfen. Ich sitze in meinem Homeoffice, der Bildschirm vor mir ist schwarz, niemand im Raum, aber die Arbeit scheint für heute abgeschlossen. Sicherheitshalber schaue ich mich noch mal um, alles gut, ich laufe zur Toilette, werfe einen Blick in den Spiegel, ich sehe ganz normal aus, ein bisschen müde vielleicht.

Ich mache noch mal die Augen zu, aber die Bühne ist leer. Kein Männchen, keine Party, kein Kino. Aber Wochenende. Endlich.

06 September 2024

Was es alles nicht war

Es war nicht der kranke Bahnmitarbeiter.
Es war nicht der Stellwerksausfall.
Es war nicht der entfallene Regionalexpress.
Es war nicht der überfüllte Bahnhof.
Es war nicht die verspätete S-Bahn.
Es war nicht die unverständliche Lautsprecherdurchsage.
Es war nicht die drangvolle Enge im Ersatzzug.
Es war nicht die rücksichtslos telefonierende Mitreisende.
Es war nicht der verschwitzte Handwerker neben mir.
Es war nicht die angespannte Stimmung im Zug.
Es war nicht der ungeplante Zwischenhalt.
Es war nicht die zunehmende Hitze im Wagon.
Es war nicht das Gedränge am Endbahnhof.
Es war nicht mein zugeparktes Auto.
Was es alles nicht war

Es war die Summe aus diesen Erlebnissen, die mich völlig genervt und erschöpft zu Hause ankommen ließ.