"Hallo!"
Etwas missmutig schaue ich auf. Wer stört mich da in meiner Arbeit, lenkt mich von den konzentriert zusammengetragenen Unterlagen ab?
Es ist nichts zu sehen, keine Ahnung, woher die Stimme kam.
Da nochmal: "Hallo!"
Mein Blick wandert durch das Zimmer, aber ich kann die Quelle der Ansprache einfach nicht ausmachen.
"Hallo!... Hallo!... Hallo!"
Langsam wird es lästig, penetrant geradezu. Da meine Konzentration jetzt ohnehin gestört ist, beginne ich darüber nachzudenken, wer oder was mir diesen Streich spielt. Natürlich, jetzt wird es mir klar: Es ist das Headset von meinem Telefon, das habe ich vermutlich nicht richtig auf seine Ladestation zurückgehängt und nun versucht irgendein Kollege mich zu erreichen. Schnell setze ich mir den Kopfhörer auf. Aber da ist nichts zu vernehmen. Nur ein leises Rauschen kündet davon, dass das Gerät im Prinzip funktioniert.
Fast warte ich auf ein erneutes Hallo!, aber ein paar Augenblicke lang herrscht Ruhe. Ich wende mich wieder der Arbeit zu, wo war ich noch stehengeblieben? Kaum habe ich den roten Faden wieder gefunden, den abgebrochenen Vorgang wieder aufgenommen, ist das Geräusch wieder da, diesmal:
Ich schließe die Augen im Versuch, besser hören und den Ursprung lokalisieren zu können. Und da plötzlich klärt sich die Situation. Mit meinen geschlossenen Augen sehe ich nun ein kleines Männchen, es winkt freundlich mit beiden Armen, holt hinter seinem Rücken eine rote Pappnase hervor und setzt sie sich auf. Wie als Antwort auf meine noch nicht ausgesprochene Frage erklärt es mir "Erkennst du mich nicht? Ich bin es, der Bote des Wochenendes."
Ich öffne wieder meine Augen, schaue auf die Uhr. Tatsächlich, schon nach 17 Uhr und damit Zeit, die Arbeit an diesem Freitag langsam auslaufen zu lassen. Augen zu, wieder das Männchen. Die Pappnase ist verschwunden, dafür hat es jetzt einen absurd großen Ghettoblaster auf den Schultern. Ich bekomme Angst, wenn dieses Monstrum losgeht fliegen mir bestimmt die Ohren weg. Aber zu meiner Überraschung ist es kein Getöse, sondern mitreißende Beats, die mich zum Tanzen animieren sollen.
Ohne die Augen zu öffnen schiebe ich meinen Schreibtischstuhl nach hinten, springe auf und hüpfe auf einem Bein zum Takt der Musik. Um mich tauchen immer mehr Leute auf, meine ganzen Freunde scheinen auch auf der Tanzfläche zu sein und oben am Mischpult kann ich wieder das Männchen entdecken.
Ein Auge riskiere ich. Vor mir der Computer, das Bild zeigt immer noch den vorhin liegengelassenen Arbeitsteil. Die Bildschirmkamera scheint mich kritisch anzuschauen, ich klappe ihr den Deckel herunter. Mit wenigen Mausklicks habe ich alle geöffneten Dateien gespeichert und die Anwendungen geschlossen. Schnell zurück zum Kopfkino, alle Freunde sind noch da, aber wir stehen in einer Schlange vor dem Kino und müssen noch schnell Popcorn und Cola holen.
"Also gut", denke ich, da will ich nicht kneifen. Schließlich habe ich keine Lust, auf einem schlechten Platz zu sitzen. Ich reihe mich in die Warteschlange ein. Mit der notwendigen Konzentration bekomme ich trotz der inneren Unterhaltung mit meiner Nebenfrau den Dienstcomputer ausgeschaltet und muss noch nicht einmal auf die Tastatur schauen. Am verstummenden Geräusch der Festplatte erkenne ich, dass es erfolgreich war und das ist auch gut, denn die Kinokasse rückt näher.
Doch jetzt muss ich doch noch mal einen Blick auf die Szene werfen. Ich sitze in meinem Homeoffice, der Bildschirm vor mir ist schwarz, niemand im Raum, aber die Arbeit scheint für heute abgeschlossen. Sicherheitshalber schaue ich mich noch mal um, alles gut, ich laufe zur Toilette, werfe einen Blick in den Spiegel, ich sehe ganz normal aus, ein bisschen müde vielleicht.
Ich mache noch mal die Augen zu, aber die Bühne ist leer. Kein Männchen, keine Party, kein Kino. Aber Wochenende. Endlich.