20 September 2024

Rendezvous mit dem Mond

Es ist kurz nach acht Uhr, ich schaue aus dem großen Fenster der Panorama-Sauna in die Dämmerung. Am Horizont sehe ich einen ganz leichten Rotton, der sich im abnehmenden Tageslicht recht deutlich abzeichnet. Leise zischt das Wasser des Aufguss auf den heißen Lavasteinen, ein Duft von Lavendel und Minze dringt mir in die Nase.

Wenige Minuten später schaue ich wieder zur Scheibe, diesmal schon deutlicher hat sich der rote Fleck zu einem Halbkreis über dem Horizont entwickelt. Es ist der Mond, im Moment noch nicht vollständig zu sehen, aber demnächst wird er sich als Vollmond zeigen, rot noch.

Wieder ein leises Zischen, ein Luftzug vom großen Fächer, den der Saunameister nutzt, um die Luft über dem Ofen zu verteilen. Und mit der Luft das in Aroma vom Mittelmeer in den Raum bringt.

Rendezvous mit dem Mond

Der Mond zeigt sich jetzt komplett, wenige Zentimeter über der Horizontlinie ist er in voller Größe und rund wie ein Ball in zartem Rot zu erkennen. Ein Mondaufgang mit theatralischer Note, weniger eine Andeutung von Romantik als von Dramatik, wie er da wie das Hintergrundbild einer Hexenshow heller und größer wird.

Zisch! höre ich aus der Richtung des Saunaofens, aber ich kann meinen Blick nicht von diesem Himmelskörper abwenden, der durch die untergehende Sonne und die immer dunkler werdende Landschaft immer deutlicher hervortritt.

Bist du das, frage ich mich, ist das mein Vater, der mir ja symbolhaft als Mond beim Leben zuschaut. Warum ist er heute so rot, ist das ein gutes Zeichen oder habe ich ihn verletzt oder mit meinem aktuellen Lebensweg unzufrieden gemacht?

Ich wende mich ab, schaue in der Schwitzkabine herum, all die nackten Menschen hier, auf einmal fühle auch ich mich nackt, nackt und beobachtet, aber nicht von den anderen Saunagästen, sondern von diesem merkwürdigen roten Fleck am inzwischen nächtlichen Himmel.

Ich weiß, dass ich mir kein Handtuch überwerfen kann, dass es mir auch gar nichts nützen würde, weil du mich trotzdem sehen könntest. So wie ich bin, nicht wie Gott mich geschaffen hat, sondern wie ich mich im Laufe der Jahre entwickelt habe.

Bin ich so klein, wie ich mich jetzt fühle oder ist es überbordende Demut, die mich in eine geradezu depressive Stimmung versetzt? Ich wage doch wieder einen Blick zum Mond und siehe da: jetzt scheint er mich anzulächeln, doch, doch, da sehe ich ein zart angedeutetes Schmunzeln in seinem runden Gesicht und auch das Rot scheint zu verblassen und einem fahlen Weiß zu weichen.

Mut erfasst mich wieder, die innere Prüfung scheine ich bestanden zu haben, fühle mich jetzt wieder stärker und wie aus einer anderen Sphäre höre ich auch wieder die Saunageräusche und die Frage des Saunameisters nach einer weiteren Aufgussrunde. Die anderen Gäste müssen wohl zugestimmt haben, denn Salbei und Orange übernehmen den Duftraum und eine tiefe Entspannung überkommt mich.

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