„Madame et Monsieur“, höre ich eine Stimme sagen und frage mich, was ich hier soll. Ich sitze in einer dieser bemerkenswert uniformen Produktpräsentationen für irgendeine Software. Wie gewohnt ist das angebotene Computerprogramm die Lösung aller Probleme, der Schlüssel zum Erfolg und so weiter und so weiter.
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(Pixabay - AI generated) |
Kurzer Werbeblock, der junge Mann am Mikrofon übergibt das Zepter an seine hübsche Kollegin, immerhin ein schöner Anblick, der durch einen Schluck Begrüßungssekt noch mal gesteigert wird. Sie erzählt natürlich genauso unsinnige Behauptungen wie ihr Vorredner, ach, warum müssen gutaussehende Menschen nur immer meinen, dass sie auch intelligent seien.
Mittlerweile haben wir uns zu den Kernqualitäten des Produktes vorgearbeitet, im Jargon der Berater werde ich auf eine Customer Journey mitgenommen, mit leuchtenden Augen werden die low hanging fruits geerntet und die pain points gestresst. Anstelle von lebendiger Handarbeit bekomme ich dutzendfach abgestimmte Folien zu sehen, hier hat sich die geballte Schwarmintelligenz der Vertriebsabteilung aufsummiert.
„Gibt es an dieser Stelle schon Fragen, ansonsten darf ich Sie einladen, nachher an den Stehtischen mit uns ins Gespräch zu kommen.“ Ich bin mir nicht sicher, ob ich diese Phase noch in wachem Zustand erlebe. Munter geht es vorne mit Aussagen zu exponentiellem Wachstum weiter. Kann diesen schlauen Menschen nicht mal jemand erklären, dass nicht alle überproportionalen Verläufe automatisch exponentiell sind?
Nach Jahren der Flaute für die Teufel-an-die-Wand-Maler ist nun endlich wieder die Gelegenheit für düstere Zukunftsaussichten und das Ausschmücken von dramatischen Geschäftsentwicklungen. Wer die Zeichen der Zeit nicht erkennt, der ist abgehängt, ohne den unverzüglichen Kauf dieses Produktes gibt es vielleicht kein morgen.
Sicher ist es eher eine entfesselte Erinnerung ferner Vergangenheit, aber irgendwie kommen mir die Inhalte bekannt, ja geradezu vertraut vor. Das habe ich doch schon mal gehört, wenn auch in anderen Räumen und von anderen Personen. Sollte mein Toaster nicht seinerzeit den Geist aufgeben, wenn die technische Menschheit ins neue Jahrhundert startete? War nicht Prozessautomatisierung das Allheilmittel gegen den allgemeinen Schlendrian?
Vorne ist mal wieder Bewegung, die Hübsche ist wieder aufgestanden, stellt sehr sehr kluge Fragen und erhält sehr sehr kluge Antworten. Die sind mit Sicherheit nicht abgesprochen, davon bin ich überzeugt und es ist auch gewiss Zufall, dass der Vortragende passende Folien dazu in Petto hat. Ich ringe mit mir, ob ich lieber Bullshit-Bingo spielen oder selbst eine kluge Frage stellen soll. „Wenn Du nichts bezahlst, bist Du das Produkt“ schießt es mir durch den Kopf. Vielleicht sollte ich eher sagen „… bist Du das Opfer.“
Mein Nebenmann steht auf, die anderen Zuhörer auch, ich rekapituliere schnell noch mal die Inhalte der letzten Stunde bevor ich mich in Richtung Stehtische in Bewegung setze. „Ein interessanter Vortrag und so spannende Erkenntnisse zu den drängenden Fragen der aktuellen Herausforderungen“ lässt mich ein älterer Herr mit einem Häppchen in der Hand wissen. Und da ich kein Spielverderber bin stimme ich ihm freundlich zu. „Auf jeden Fall“, flüstere ich ihm zu, „wir müssen aus der Vergangenheit lernen, um für die Zukunft bereit zu sein. Denn sonst weiß ich nicht, wohin das führen soll.“
[Andere Blogs: Interdisziplinäre Gedanken, Dienstliche Glossen]
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