
Die Sonne lugt verstohlen durch den Schlitz zwischen den Vorhängen. „Guten Morgen“ wispert sie, aber ich bin noch müde, will sie weder sehen noch hören. Da wieder: „Guten Morgen“, ein wenig lauter jetzt, ist da nicht auch ein Sonnenstrahl, der sich an der Seite des Vorhangs vorbeimogelt? Es ist mir zu hell, ich ziehe mir das Kissen über den Kopf und freue mich über die zurückgewonnen Dunkelheit. Doch jetzt geht das Wispern in meinem Kopf los. „Guten Morgen“ scheinen meine Gedanken zu sagen, dunkel ist es und still, umso deutlicher sind die zarten Stimmen, die mich jetzt auf den Tag einstimmen möchten. „Hast du gut geschlafen?“ will die unerträglich permanent gut gelaunte und niemals müde Tatkraft von mir wissen. Mürrisch nehme ich diese Frage auf, wie kann man nur ohne Morgenkaffee so gut drauf sein. Langsam wird es unter dem Kissen stickig, ich drehe mich zur anderen Seite, aber das Kissen sperrt immer noch die Luftzufuhr ab. Auf meiner Kopfbühne wird es nun voller, mit voluminösem Organ ein Tenor, er stimmt eine Ballade an, nach wenigen Strophen erkenne ich, dass er von den Heldentaten der vergangenen Tage berichtet. Oder sind es die Aufgaben, die heute auf mich warten?
Vorsichtig lupfe ich das Kissen an, sofort stürzen sich wieder Sonnenstrahlen auf mich, mehrere zugleich und im Chor intonieren sie jetzt das „Guten Morgen“, es schwillt an, bis es orkanartige Lautstärke erreicht. Ich halte mir die Ohren zu, von Ferne mischen sich jetzt Hörner dazu, Signal zum Aufstehen oder ist es der Radiowecker, der gerade anspringt und eine musikalische Begleitung unterhebt? Ich werfe mich herum, ziehe die Beine an, schüttle vorsichtig den Kopf und befreie mich durch einen geschickten Gedankengang vom schlechten Gewissen, noch gemütlich im weichen Bett zu liegen. Das Schuldbewusstsein meiner Trägheit verbündet sich jetzt mit dem Tenor, der in die zweite Runde geht und etwas von Frühstück, heroischem Sieg über den Hunger und einem aufopferungsvollen Kampf gegen die Widrigkeiten der Projektarbeit singt.
Ich wage es, die Augen ein wenig zu öffnen, wie kann durch so einen kleinen Spalt nur so viel Licht eindringen. Aber so recht wollen sie denn doch auch nicht mehr zufallen, „Guten Morgen“, naja zumindest nicht schlecht und eine verheißungsvolle Vorfreude auf eine erfrischende Dusche, duftenden Kaffee und das herannahende Wochenende.
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