Sie setzt sich einfach neben mich auf die Parkbank. Ob ich auch dagegen wäre? "Wogegen?" "Na, gegen den Klimawandel, die Erderwärmung, die Energiekosten, dagegen halt." "Ja, nein… also… egal." Ich will eigentlich nur mein Buch weiterlesen, nicht von einer Aktivistin belatschert werden. Doch so einfach ist das nicht.
"Wie kann einem das egal sein? Die Globalisierung geht voran, die Wirtschaft macht einfach weiter und bezahlt, aber es passiert nichts."
Sie ist Mitte zwanzig, mittelgroß, dunkelblonde Haare, sportliche Figur und intelligente Augen. Über der Jeans trägt sie eine robuste Jacke, für Outdoor geeignet. Insgesamt wirkt sie ein bisschen außer Atem, jetzt sehe ich auch die roten Kratzer an ihrem Kopf und auch an der Hand scheint sie sich verletzt zu haben.
"Also gut, ich bin dagegen." "Und da sitzt du hier herum und liest ein Buch?" "Ja." "Wir müssen demonstrieren, zeigen, dass es so nicht weitergehen darf. Die Menschen wachrütteln." "Nein, ich muss nicht demonstrieren." "Wer nichts macht, macht sich mitschuldig."
Langsam finde ich die Sache lästig. Nicht, dass mir die desolate Lage einerlei wäre, aber weder will ich mich unter wildgewordene Menschenmassen mengen oder mich auf die Straße kleben, noch möchte ich in Diskussionen mit Sendungsbewussten verstrickt werden.
"Wissen Sie," (ich wähle bewusst die Sie-Form) "es gibt unbeschreiblich viel Elend, viel Kritikwürdiges, viel Ungerechtigkeit. Und gegen jeden dieser Punkte kann man demonstrieren, aber eben nicht gegen alles." Sie lässt nicht locker: "Was bist du selbstgefällig und träge und überlässt den unangenehmen Teil anderen Leuten. Wenn wir alle so drauf wären, würden wir noch im Mittelalter leben." "Was vielleicht gar nicht so schlecht wäre. Kann ich jetzt bitte weiterlesen?"
Meine unerwünschte Nachbarin ist noch auf Krawall aus, vermutlich kommt sie gerade von irgendeiner Kundgebung oder Versammlung oder Demo und muss jetzt ihre ganze Energie loswerden. Vorzugsweise an mir. "Du kannst bald nicht mehr weiterlesen, dann gibt es keine Bücher mehr." "Warum das jetzt schon wieder?" "Weil Bücher klimaschädlich sind." "Wer erzählt solchen Blödsinn?" Langsam werde ich sauer, habe weder auf das Gespräch noch auf die Halbwahrheiten Lust. "Habe ich gelesen und es gab einen Bericht dazu im 'Monitor'. Die haben die Ökobilanz von Büchern untersucht. Da staunst du!"
Nein, ich staune nicht und auch wenn ich in ihren Augen ein lahmer Spießer und Demo-Verweigerer bin: Meine Mittagspause hatte ich mir anders vorgestellt. "Wissen Sie", fange ich wieder an, komme aber nicht weit, weil jetzt von der Seite eine kleine Menschenmenge gezogen kommt. Sie sehen alle leicht angeschlagen aus, haben wohl eine anstrengende Auseinandersetzung hinter sich. Gerade entdecken sie uns auf der Bank, schwenken zu uns herüber und stehen vor uns. "Mensch Sonja, wir wussten eben nicht, wo du warst, plötzlich weg und die anderen Arschlöcher hinter uns her." "Nein, alles gut. Ich habe versucht, den Mann hier zu bewegen. Mal ein bisschen an unseren ökologischen Fußabdruck zu denken und den Hintern hoch zu kriegen. Irgendwie kapiert er nicht, dass Bücherlesen nicht hilft." Angesichts der Übermacht halte ich mal lieber den Mund, auch wenn ich ganz anderer Meinung bin.
Und dann habe ich Glück, denn "Komm, ist egal jetzt, der Kerl wird es auch noch raffen und wir müssen weiter."
Noch ein wenig in Gedanken lege ich das Buch zur Seite, schaue dem abziehenden Trupp nach und frage mich, ob ich selbstgefällig und träge bin und den unangenehmen Teil anderen Leuten überlasse.
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