25 März 2022

Kindergedanken zum Krieg

In meinen kindlichen Gedanken sah ich ein haariges Tier vor mir, so eine Mischung aus Affe und Bison, es schaute mich mit wütendem Blick an, während es wild mit seinen Hinterbeinen auf den Boden stampfte. 
Ich stand im Flur im Haus meiner Oma, mein Onkel erklärte mir gerade, dass die Kuhle im Boden hinter der Eingangstür „vom Russen“ gemacht worden sei. Ich wusste nicht, was ein Russe ist, und in meiner Phantasie stellte ich mir ein ziemlich wildes Tier darunter vor.

Einige Jahre später hatten wir dann Besuch von einem Russen, er kam in mein Elternhaus, war ein ganz normaler Mensch und brachte mir Schokolade mit. Auch mit meinen Eltern unterhielt er sich sehr freundlich und hatte so gar keine Ähnlichkeiten mit dem Wesen, das ich bis zu diesem Zeitpunkt mit diesem Begriff in Verbindung gebracht hatte.

Es vergingen Wochen, in denen mich diese Diskrepanz immer wieder beschäftigte. Schließlich nahm ich mir ein Herz und sprach meine Mutter darauf an. „Das war im Krieg“, war ihre Antwort und das klang in meinen Ohren so, wie sie mir den elektrischen Herd erklärt hatte. Erstmal ungefährlich, aber wenn man ihn einschaltet und er heiß wird, verbrennt man sich.

Ich war irritiert, was sollte denn diesen netten Mann mit seiner Schokolade und den lustigen Geschichten zu dem zotteligen Tier machen? Und was meinte sie mit dem Krieg? „Ach, mein Junge“, nahm mich meine Mutter in den Arm, „das verstehst du noch nicht.“ – „Nein“, flüsterte ich ganz leise zurück, „nein, das verstehe ich bis heute nicht.“

18 März 2022

In der Schreibwerkstatt


Direkt neben dem Eingang
Ungehobelte Wörter
Geöffnete Worthülsen
Geschliffene Bonmots
Bevorratete Sätze
Ungenutzte Alliterationen
Verworfene Teilsätze
Stimmzettel zur Wortwahl

Am Werktisch
Pinsel für Sprachbilder
OP-Besteck für Wortsezierung
Destillen für Gedichte
Schleifwerkzeug für Formulierungen
Sprachleim für Wortverbindungen
Schraubzwingen für Sinnverpressungen
Politur für Renovierung

Bei der Arbeit
Phantasiereiche Fahrt
Überholende Gedanken
Kratzende Stifte
Kopfinterne Diskussionen
Konkurrierende Ideen
Wilde Kombinationen
Wolkige Gebilde

Fertig.

11 März 2022

Zu Gast in meinem Zelt

Es war eine recht windige Nacht nach einem eher trüben Nachmittag und Abend, wir waren heute Mittag mit dem Rad an diesem Zeltplatz angekommen, hatten die Zelte aufgebaut, festgezurrt und uns dann im Küchenzelt zusammengehockt. Die übliche Schnipselei von Gemüse und anderen Zutaten war spaßig, aber so richtig gute Stimmung wollte nicht aufkommen. Selbst einige Stunden später und mit einigen Gläsern Rotwein im Körper war die Gruppe eher reif für das Nachtlager als für eine Party. Ich lief rüber zum Badhaus, duschte noch und trollte mich dann zu meinem Kuppelzelt, wo ich meine Isomatte ausrollte und mich in meinen Schlafsack kuschelte.

Im Halbschlaf hörte ich zunächst ein leichtes tropfen, dann setzte Regen ein und der Wind frischte auf. Mein Zelt schaukelte im Wind, der Regen steigerte sich ziemlich schnell zu einem heftigen Gewitter. Zufrieden mit der Trockenheit unter dem Zeltdach und der Aussicht auf baldige Beruhigung des Wetters wurden meine Augenlieder schwer und der Schlaf überkam mich.
Allerdings währte er nicht lange, denn auf einmal rüttelte es stark an meinem Zelt, genauer am Reißverschluss, er wurde aufgezogen und eine junge Frau steckte den Kopf hinein. Im trüben Licht des Campingplatzes konnte ich sie nicht richtig erkennen, sie gehörte wohl zu unserer Fahrradgruppe, ihr Name war irgendwas mit „S“, Sibille oder Sabine oder so.

„Was… was machst Du hier?“ fragte ich schlaftrunken. „Mein Zelt steht unter Wasser, ich muss irgendwo ins Trockene.“ Ich überlegte einen Augenblick und zog sie dann ins Zelt, um möglichst schnell wieder den Eingang zuzubekommen, bevor mein Zelt auch noch unter Wasser geriet. Tatsächlich, sie war klitschnass, und obendrein zitterte sie vor Kälte. „Was ist mit Deinem Rucksack?“ wollte ich wissen und erfuhr, dass sie das Zelt teilweise in einer Kuhle aufgestellt hatte, der Rucksack allerdings im hohen Teil oberhalb des Wassers lag. „Was soll ich denn jetzt bloß machen?“ wollte meine Zeltnachbarin wissen. Worauf ich keine Antwort wusste. „Jedenfalls musst du erst mal was Trockenes anziehen, ich geb Dir irgendwas von mir.“ Mittlerweile war ich wieder wach, sah zu, wie sie sich aus ihrem T-Shirt und ihrer Hose pellte, während ich in meinem Gepäck nach geeigneter Kleidung für sie suchte.

Sie war nicht mein Typ, ich fand sie eher mäßig nett und hatte so gar keine Lust auf ein Abenteuer mit ihr. Was sie möglicherweise auch gar nicht wollte, wie ich mir einredete. Aber da saß sie jetzt, gerade so eben hatte sie noch Platz, sich neben mir auf die Isomatte zu setzen. So konnte ich sie ja nicht die ganze Nacht sitzen lassen und mich gemütlich in meinen Schlafsack rollen. „Ok,“ hörte ich mich widerwillig sagen, „irgendwie wird es passen, wir sind ja beide ziemlich schlank.“ Als hätte sie darauf gewartet schlüpfte sie in meinen Schlafsack und ich hatte Not, mich noch daneben zu quetschen.

Anfangs lagen wir Rücken an Rücken, langsam erwärmte sich der Eisklotz hinter mir und zumindest die Temperatur wurde langsam angenehm. Aber die Enge war nervig, natürlich war der Schlafsack nicht für zwei Personen konstruiert und wenn es nicht so kalt gewesen wäre hätte man vielleicht den Verschluss für mehr Bewegungsfreiheit offen lassen können, woran aber kein Denken war. Meiner Genossin schien es ähnlich zu gehen, denn mit Gezerre und paddelnden Beinen drehte sie sich um und drückte jetzt ihre Brust gegen meinen Rücken.

Es war immer noch eng und nein, Sex wollte ich immer noch nicht mit ihr, aber so ganz unangenehm war es letztlich ja doch nicht. Ihr Atem in meinem Nacken war irgendwie beruhigend und mit den Worten „Meinst du, wir könnten jetzt schlafen?“ gelang es mir, meine Erregung langsam in Müdigkeit übergehen zu lassen. Im Wegdämmern hatte ich auch keine Energie mehr, um den Arm loszuwerden, der sich von hinten um mich schlang und auf meinen Bauch legte.

Als ich aufwachte, war der Regen vorbei, die Sonne wohl schon eine Weile aufgegangen und um das Zelt herum bereits Leben. Die Frühaufsteher liefen umher, putzten lachend die Zähne, zeigten sich gegenseitig die Auswirkungen des nächtlichen Gewitters und setzten im Küchenzelt Kaffee auf. Verschlafen versuchte ich mich ganz vorsichtig zu drehen und stellte fest, dass das problemlos ging. Außer mir war niemand im Zelt, kein Anzeichen eines nächtlichen Besuchs.

Langsam kam in mir der Verdacht auf, dass ich das alles nur geträumt hatte. Aber warum war da ausgerechnet diese Frau aufgetaucht, fragte ich mich noch, während ich mich aus der warmen Hülle schälte und den Reißverschluss meines Zeltes öffnete. Und dann sah ich sie, mit ihrer Sigg in der Hand stand sie vor dem Gemeinschaftszelt und trug eines meiner T-Shirts und meine Badeshorts, die ich ihr wohl in der Nacht gegeben hatte. Freundlich winkte sie mir zu, als sie meinen Kopf aus dem Zelt kommen sah, kam angerannt und wollte wissen, ob ich gut geschlafen hätte. „Ja, nein, weiß nicht“ – ich fühlte mich überrumpelt und jedenfalls war sie viel wacher als ich, fröhlich schmatzte sie mich auf die Wange und berichtete von ihrem langsam wieder trocknenden Zelt.

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04 März 2022

Meine Ziegelwand


Sie spricht mit mir, erzählt mir ihre Geschichte. Von der Entstehung vor vielen Jahren. Es waren warme Frühlingstage, der Winter nahm langsam reis aus und selbst der Nachtfrost war seit einigen Wochen ausgeblieben. Gelegenheit damit, dass der kleine Italiener mit seinem Bagger den Untergrund planieren, die Armierung einlegen und den Beton für die Bodenplatte aufbringen konnte.

Auf dieser Platte nun entstand sie, die Mauer aus Ziegelstein, Härte in ihrem Herzen und Stabilität für die große Verantwortung, die ein ganzes Haus auf ihren Schultern erfordert. Viel später dann kam der Putz, kalt und feucht hatte er sich angefühlt, gerade innen hatte sie sich an die wohlige Wärme und Trockenheit gewöhnt, und selbst nach dem Innenputz war die Leidensgeschichte noch nicht zu Ende, kam doch noch mal die Estrichfeuchte durchs Haus gezogen. Erst als der Tapezierer erschien und mit seiner Raufaser und dem Anstrich die endgültige Oberfläche schuf, war endlich Ruhe eingekehrt.

So vergingen die Jahre. Mal wurde ein Bild aufgehängt, mal der Anstrich erneuert. Die Beleuchtung wechselte, aber stoisch ertrug die Wand selbst die Lochbohrungen zur Befestigung eines Schrankes. Ich schaue sie an, bewundere ihre positive Einstellung, unschuldig weiß und doch nicht unberührt, so genügsam und doch treu ergeben, standfest bis heute. Auch die Fügung in die Erfüllung ihrer wichtigen Aufgabe, eine Selbstlosigkeit, die nicht erwartet, jeden Tag aufs Neue angesprochen und motiviert zu werden.

Welch wortlose Dienerin, schweigsam, wo sie doch so manches gesehen und gehört hat, so viele Geschichten und Gespräche, die sie stets für sich behält. Nur manchmal, so erscheint es mir, erzählt sie doch ein wenig über sich oder erinnert mich an Erlebnisse, die ich vor ihren unsichtbaren Augen und Ohren hatte.

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