29 Oktober 2021

Dolce Vita

 

Eigentlich war es gar nicht Julias Gitarre. Sie hat sie von Klaus-Peter ausgeliehen. Wir haben gar nicht verstanden, warum er dieses Instrument mitgenommen hat, denn er kann es gelinde gesagt nicht wirklich bedienen. Klaus-Peter ist der Inbegriff von verklemmt. Vermutlich zieht er die Unterhosen an, die ihm seine Mutter in den Koffer gepackt hat. Und die Gitarre hat er sich umgeschnallt, weil er sich in seinen Träumen ausmalt, wie er damit ein Mädchen flachlegt.

Das ist bei Kathrin anders, die hat das Liederbuch in der Hand, das sie gar nicht braucht, weil sie alle Texte und Melodien ohnehin kennt. Es ist mehr als Anregung oder zum Weiterreichen an die anderen Sänger, hier um das Lagerfeuer herum. Die stimmliche Qualität ist überschaubar, aber ein paar ganz passable Töne bringt die Runde denn doch hervor. Und im Grunde ist es auch egal, Hauptsache die Melodie stimmt und der Rhythmus und die Stimmung.

Am Abend ist das Feuerholz zusammen gekommen, im nahegelegenen Wald gesammelt, an den Strand gebracht, jetzt Stück für Stück verheizt. Wie weit weg ist nun der Sonnentag, in der Badehose am Strand, ein kleiner Ausflug in die Berge, wo wir Wein geholt haben. Jetzt macht der Kanister die Runde, schon sehr rustikal das Ganze, aber ein schmackhafter Rotwein, der die Zungen lockert.

Ja, hat der Winzer uns erklärt, schon sein ganzes Leben hat er hier verbracht. Sein Cousin ist nach Deutschland gegangen, in den Sommermonaten dort, eine Pizzeria in „Nurnberg“, wie er sagt. Und mit dem Weingut hat er so sein Auskommen, reich wird er nicht, aber was soll er mit Geld, davon kann er sich die Sonne nicht kaufen, Dolce Vita in Deutschland für ihn undenkbar. Und schmunzelnd lässt er uns noch wissen, sein Wein sei gut für Amore.

Wahrscheinlich hat er Recht, die Flammen des Lagerfeuers schaffen eine romantische Atmosphäre, im Hintergrund rauscht das Meer, im Vordergrund schrammelt Julia auf der Gitarre. Wir arbeiten uns durch das Liederbuch, hier und da ergibt sich ein Händchenhalten, auf allen Gesichtern liegt ein Strahlen.

Der Morgen ist noch fern.

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22 Oktober 2021

Hey, Du!

Ich sitze hier und denk an dich
An mich, wieso denn das?
Du bist mein Leser!
Was hast du denn heut für mich?
Ein paar Gedanken, ein paar Träume
Zuerst die Gedanken.
Ich frage mich, wie Beruf, Hobby und Job zueinander stehen.
Wie meinst Du das?
Das Hobby macht Spaß, der Beruf sollte erfüllen, der Job muss getan werden.
Ja, schon. Aber was ist die Erkenntnis?
Wir wollen doch Spaß haben, also lebe dein Hobby im Job.
Man sagt doch: Mach nie das Hobby zum Beruf
Stimmt aber nicht, solange man im Beruf aufgeht.
Aber dann fehlt der Ausgleich.
Den brauche ich nicht, weil meine Arbeit keine Last ist.
Und die Träume?
Ich sitze im Baumhaus
Was gibt es da?
Um mich herum sitzen und schwirren alle möglichen Vögel.
Das hört sich nach Durcheinander an.
Ja, weil jeder Vogel mir irgendwas ins Ohr zwitschern will.
Ist das nicht schrecklich?
Doch, wie im Alltag: So viele gutmeinende Berater.
Stopf dir was in die Ohren!
Dann höre ich aber nichts mehr, auch nicht die guten Ratschläge.
Scheuch‘ die Vögel weg, die nur laut krächzen.
Leider verscheucht man meist die falschen.
Tja, also was tun?
Sorgfältig zuhören. Das Filtern kann mir keiner abnehmen.
Viel Erfolg und viel Kraft.
Ich danke dir – komm mich nächste Woche wieder besuchen.



15 Oktober 2021

Lass die Sonne in dein Herz

Hauptsatz
Lass die Sonne in dein Herz
Schick die Sehnsucht himmelwärts
Gib dem Traum ein bisschen Freiheit
Lass die Sonne in dein Herz

Variation in Moll (Lugubre)
Covid-19 bricht mein Herz
Quarantäne noch bis März
Nein, wir brauchen nichts zu hoffen
Covid-19 bricht mein Herz

Seitensatz (Agile)
Sommersonne scheint ins Haus
Füße aus dem Fenster raus
Müßiggang und gute Laune
Sommersonne scheint ins Haus
 
Überleitung (Allegro ma non troppo)
Wie es läuft entscheiden wir
Emotionen sind in mir
Was draus wird ist völlig offen
Wie es läuft entscheiden wir.
 
Epilog (Con moto)
Überall ne gute Zeit
Von den Sorgen ganz befreit
Selters, Sekt und helles Lachen
Überall ne gute Zeit
 
Reprise
Lass die Sonne in dein Herz
Denn hier ist kein Platz für Schmerz
Träum mit mir ein bisschen weiter
Lass die Sonne in dein Herz
 
Coda (incalzando)
Genieß das Leben voll und ganz
Jeder Tag hat seinen Glanz
Irgendwann ist es zu Ende
Genieß das Leben voll und ganz

08 Oktober 2021

Ängste und Sorgen… über den Wolken

Vor mir sitzt Werner, 60, Ingenieur und Hobbypilot. Er hat mich am Büdchen neben dem Tower abgeholt, wir haben kurz mit Peter gesprochen, der heute Dienst hat und für die Abläufe auf diesem kleinen Amateurflughafen verantwortlich ist.

Werner hat jetzt ein Klemmbrett auf den Knien, tauscht über Funk irgendwelche englischen Codewörter mit Peter aus. Schließlich ist die Vorbereitung abgeschlossen, er zieht den einen oder anderen  Hebel, drückt auf den Startknopf und tuckernd springt der Motor an, beginnt zu brummen, immer vernehmlicher und jetzt setzt sich unser kleines Flugzeug tatsächlich holpernd in Richtung Startbahn in Bewegung.

Wie schwerfällig am Boden, wie leicht in der Luft, werden meine Gedanken gefesselt, während die Maschine allmählich schneller wird, auf der Hälfte der Bahn gibt Werner Gas, das Rumpeln wird schwächer und dann schweben wir. Der Motor wummert, aber sonst ist es still, wir gleiten geruhsam in die Höhe, ganz anders als im Ferienflieger ist alles so betulich und direkt.

Ich schaue hinunter auf die Erde, sehe die Häuser wie auf einer Modelleisenbahn, Autos als bewegte Rechtecke und Menschen wie Ameisen.

Über den Wolken
Muss die Freiheit wohl grenzenlos sein
Alle Ängste, alle Sorgen
Sagt man
Blieben darunter verborgen
Und dann
Würde was uns groß und wichtig erscheint
Plötzlich nichtig und klein

Meine Gedanken verlieren sich, ich schaue aus der Kabine nach draußen, wie unscheinbar die ganzen menschlichen Werke von hier oben aussehen. Brücken, die in jahrelanger Arbeit erbaut wurden, sind aus dieser Perspektive läppische Kleinigkeiten in den riesigen Formen der Natur. Ein kleiner Erdrutsch, ein Unwetter, Sturm, Erdbeben oder sonstige Ereignisse und man erfährt, was wirkliche Macht ist.

Tand, Tand, ist das Gebilde von Menschenhand

Ein wenig in Trance geraten schaue ich wieder nach vorne, es ist still geworden und jetzt weiß ich auch warum. Werner hat sich nach vorne gebeugt, betätigt Knöpfe, funkt mit Peter und jetzt hat er einen Strang Drähte aus einem Kabelbaum in der Hand, wo er wohl einen Stecker wieder festdrücken will. Der Motor schweigt, ich überlege, ob ich die Stille genießen oder Angst vor einem Absturz haben soll.

Gerade noch erhabener König der Lüfte, jetzt ängstliche Kreatur mit der Sorge vor einem kurz bevorstehenden Unfall oder gar Tod. Schluss mit Reinhard May, nein, meine Ängste und Sorgen sind nicht unter Wolken verborgen, nur der Fallschirm auf meinem Rücken und die geradezu lethargische Ruhe meines Piloten lassen mich hoffen, dass der Ausflug ein gutes Ende nimmt.

Und tatsächlich, vorne zuckt der Rotor kurz, bleibt dann allerdings wieder stehen. Wir gleiten weiter, noch in ausreichender Höhe und beschreiben jetzt einen weiten Bogen, der uns in Richtung Flughafen bringen soll. Wieder zuckt der Rotor, diesmal schon länger, nein, sogar dauerhafte Bewegung, es tuckert, brummt, wummert, wir gewinnen wieder an Höhe.

Werner bedeutet mir, mich zurückzulehnen und gibt zu verstehen, dass alles in Ordnung ist, kein Grund, sich Sorgen zu machen. Als er dann allerdings nach einem zweiten kurzen Aussetzer unseres Motors wissen will, ob wir noch mal eine Runde dranhängen sollen, erkläre ich ihm meine Vorfreude auf ein Bier an der kleinen Theke neben dem Tower.

Jedenfalls bin ich dankbar, als wir sanft aufsetzen, über die Landebahn zum Hangar rumpeln und wenige Augenblicke später von Peter in Empfang genommen werden, als sei das ein ganz normaler Flug gewesen, die ungeplanten Gleitflugphasen kaum der Rede wert.

Und dann wird mir klar, dass ich meine Ängste und Sorgen nicht über den Wolken verliere, sondern besser schon auf der Erde dafür sorge, dass sie nichtig und klein bleiben.

01 Oktober 2021

Dies ist keine Liebesgeschichte

Es ist die Erinnerung an das, was mal eine werden sollte.

Ich sitze in einer dreckigen, kleinen Bar unten an der südlichen Ostküste. Östlicher das Meer, südlicher das Meer. Sonst nichts mehr. Der Barkeeper – unrasiert seit Tagen oder sogar Wochen – steht mit dem Rücken zu mir und poliert Gläser. Als ich reinkam stand er auch so da und war mit Krügen und dergleichen beschäftigt. Ohne sich umzudrehen nahm er meine Bestellung entgegen: Whiskey-cola, aber mit viel Eis. Ich weiß nicht, wie es machte, den Drink vor mich zu stellen, ohne sich umzudrehen, nur mit einem beiläufigen „Prost Fremder!“. Ich nippte an dem Getränk, wälze einen Eiswürfel im Mund, spüle Whiskey darüber, fühle, wie er mir durch den heißen Hals läuft, im Magen ankommt, im Hals einen beißenden Nachgeschmack hinterlassend, der mich würgen lässt.

Es ist staubig hier, für den Barkeeper Gottseidank, denn sonst müsste er seine Gläser nicht ohne Unterbrechung putzen, denn das tut er: er putzt und poliert unaufhörlich. Der Staub dringt durch alle Ritzen, vor allem durch die Saloontür, die aus einem dieser Cowboyfilme stammen könnte. Geht draußen jemand vorbei, was zu dieser Tageszeit selten genug vorkommt, prasselt der Sand leise auf die Holzbohlen. Alles ist hier aus Holz, verwittert und grau, von der Sonne ausgetrocknet, das Salz aus der Meerluft tut ein Übriges.

Wenn man sich sandig fühlt und die Krümel abstreifen will, merkt man: Alles Salz, was einen schon zerfressen hätte, wenn es feucht genug wäre. Hier ist alles durstig, sogar die Wüste, die am Ende der Siedlung liegt und erst recht die Luft, die mir den letzten Whiskey aus dem Glas klaut, nachdem sie meine Eiswürfel verzehrt hat.

Ich bestelle mir noch einen. Juan – so heißt er bestimmt, jeder heißt hier Juan oder Fillipo – dreht sich um, als würde er sich wundern, dass ich noch lebe. Er sieht mich lange schläfrig an, fast denke ich, hier kriege ich keinen Drink mehr, da nimmt er langsam ganz behutsam mein Glas, als könnte es zerbrechen oder als müsste er es wieder vorsichtig seinem Besitz einverleiben. Ich bleibe sitzen und warte. Wortlos dreht er das Glas in der Hand, spült es aus. Mit einem fast verächtlichen „Da, Fremder“ reicht er mir das gefüllte Glas zurück, starrt mich dabei an, während ich ein Geldstück – irgendeines, denn ich kenne mich mit der Währung noch nicht aus – aus der Tasche hole und über die Theke schiebe. Es scheint ein größerer Wert zu sein, denn sein Gesicht hellt sich auf und so etwas wie „Gracias“ tropft von seinen Lippen.

Ich halte den Augenblick für günstig, ein Gespräch anzufangen und frage ihn, ob man hier irgendwo übernachten könnte. „Si Senor“, er entpuppt sich als nicht sehr beredsam und erst nach mehreren Anfragen errate ich, dass er außer Wirt auch Hotelier ist, sofern man in einem Kotten wie hier jemand so nennen kann. Jedenfalls kann ich hier die Nacht verbringen, falls es nötig ist, bedeutet mir mein Gegenüber, der mir jetzt wieder den Rücken zugekehrt hat. Dann murmelt er irgendwas von Siesta und ohne noch einmal mein tauendes Eis eines Blickes zu würdigen schlappt er durch einen Vorhang davon, wonach sich auch seine schlurfenden Schritte irgendwo im Haus verlieren. Da sitze ich nun allein, meinen Whiskey muss ich bald trinken, sonst wird er lauwarm und beginnt womöglich zu kochen, es gibt nichts, womit ich an diesem Zipfel der Welt nicht rechnen würde.

Irgendwo hier musst du auch gewohnt haben, unter all diesen unrasiert-dreckigen, schläfrigen Lumpen, die dir bestimmt Nachtlager und mehr gewährt haben, wenn sie abends aufwachen. Irgendwo hier Station gemacht, weitergereist – getrampt – mit dem nächstbesten Auto in eine Stadt gefahren, die genauso staubig ist wie hier und wo man dich genauso gemustert und fremd angesehen hat. Dann die erste Vergewaltigung, deine Flucht und Mord. Es ging auf einmal alles so schnell. Ich hätte dir gerne gesagt, dass es mir leid tut und dass wir es nochmal versuchen wollen.

[06/1988]