3. Besuch
Anders als gewünscht musste ich dann doch noch mal zu meinem Vermieter und ihn um einen Schlüssel für die WG bitten. Widerwillig kramte er in einem Schlüsselkasten, gab mir eine Handvoll Schlüssel unter der Maßgabe, alle nicht passenden unverzüglich wieder zurückzubringen.
Jetzt war alles komplett, mein Zimmer, meine Bücher, ich - und ein Bad.
Die ersten Wochen gingen dahin, mathematischer Vorkurs und das Kennenlernen von Kommilitonen füllten den Tag, das Lösen von Übungsaufgaben die Nacht. Außer dem Studium war weder Zeit noch Platz für Gedanken. So viele Alltagsprobleme, Orientierung in der fremden Stadt, neue Kameraden.
Ich hatte mir den Tisch neben das Dachfenster gestellt, so dass ich immer mal aufstehen und hinausschauen konnte. Es gab einen schönen Blick über die umliegenden Häuser bis zu einem nahegelegenen Park. Gerade stand ich wieder gedankenverloren vor dem geöffneten Fenster, als es klopfte. „Ja?“ – „Ich bin’s.“ (Mädchenstimme). Ich öffnete die Tür, vor mir die Studentin von unten. „Und?“ – „Ich muss mal… schauen, wie es hier oben aussieht.“ – „Komm rein.“
Sie schlüpfte an mir vorbei ins Zimmer und schaute sich neugierig um. Der Blick streifte mein Bett, das Büchertischchen, das Fenster. „Was studierst Du eigentlich?“ – „Physik, im ersten Semester.“ Sie lächelte und zeigte mir ihre hübschen Zähne – „Ah. Ein Ersti.“ Und dann: „Das Zimmer ist ja schon ziemlich klein, aber einen schönen Ausblick hast Du.“ – „Ja, klein, aber ich bin froh, dass ich ein Dach über dem Kopf habe.“ Diesmal lachte sie spontan los: „Das mit dem Dach über dem Kopf kannst Du bei Dir wörtlich nehmen.“ (Pause) „Eva.“
Ich kochte uns beiden Tee, wir saßen auf dem Bett und sie blätterte in meinen Büchern. „Ich verstehe kein Wort.“ – „Ich auch nicht.“ Sie schaute mich überrascht an, versuchte herauszubekommen, ob ich es ernst meinte. „Wenn ich es verstände bräuchte ich es nicht zu studieren“, erklärte ich ihr.
Diesmal waren ihre Haare gekämmt, in der Nachmittagssonne glänzten sie wie Gold. „Und was machst Du?“ – „Biologie.“ Stimmt, darauf hätte ich kommen können. Sie war so naturschön, Make-up hatte ihr Gesicht bestimmt noch nie abbekommen.
4. Gegenbesuch
Der Stress der ersten Studienwochen ließ nach, ich lernte die anderen Mitbewohner in der WG kennen. Martin war so ein ganz weicher Sowi-Student, für alles Verständnis und ein geregeltes Leben wie das seiner Eltern konnte er sich überhaupt nicht vorstellen. Mitschwimmen und immer den Menschen helfen, die seine Hilfe am dringendsten brauchen. Tobias war in Germanistik eingeschrieben, hing aber lieber bei den Wirtschaftswissenschaftlern herum, weil die Mädchen da hübscher wären. Und Margot (wie kann man sein Kind nur so nennen?) wollte Grundschullehrerin werden. Kinder: ihr ein und alles, voller Begeisterung berichtete sie von ihren Praktika.
Mal wieder so ein Nachmittag, an dem ich schon früh meinen Stoff durch hatte und auf einen Tee runter lief. Nur Martin saß in der Küche, Eva müsste auch da sein und ich könnte sie fragen, ob sie auch Lust hätte. Ich klopfte bei ihr, nichts. Leises Türöffnen, sie lag auf dem Bett und war offensichtlich über einem ihrer Bücher eingeschlafen. Noch während ich überlegte, ob ich sie besser schlafen ließe schreckte sie hoch, schlaftrunken: „Ja?“ – „Ich muss mal… Dich besuchen.“ – „Komm rein.“
Ich schloß die Tür hinter mir, schaute mich um. Es war alles bunt, ein Asparagus hing in einer Makramee-Blumenampel, der Bettrahmen war laienhaft-liebevoll als Tigerente gestrichen. Daneben ein Bücherregal, lauter Biologiewerke und ein Schreibtisch, ebenfalls voll mit Biobüchern. Jetzt wachte Eva langsam wieder auf, „Gefällt‘s dir?“ – „Gemütlich hast du’s.“
Wir unterhielten uns über das Studium, dann erzählte sie von zu Hause, sie kam aus einem kleinen Dorf, aber einen richtigen Hof hätten sie nicht. Leider, wie sie sagt, sie würde gerne etwas mit Tieren machen, Zucht vielleicht oder einen richtigen eigenen Hof haben. Bei den Vorlesungen kommt sie ins Schwärmen, vor allem Anthropologie macht ihr Spaß und der Professor sei so nett. Wenn auch chaotisch, aber das wäre sie ja schließlich auch.
[Fortsetzung folgt.][Andere Blogs: Interdisziplinäre Gedanken, Dienstliche Glossen]