In den letzten Jahren ist mir mehrmals der Vorwurf gemacht worden, ich würde mein Gegenüber nicht verstehen. Oder ich wollte es nicht verstehen. Mehr oder weniger offen wurde mir bei der Gelegenheit signalisiert, ich wäre mit irgendeinem Sachverhalt oder einem Austausch intellektuell überfordert oder sagen wir mal rundheraus: zu doof dazu. Dieser Vorwurf war in allen Fällen in der Sache komplett unzutreffend. Auch stand keine Ablehnung meinerseits, also eine Verweigerung im Sinne des Nicht-wollens, im Weg.
Erst nach einiger Zeit wurde mir klar, was eigentlich dahinter steckt. Tatsächlich ist die Formulierung richtig: wir verstehen uns nicht. Verstehen kommt im Ursprung von Verstand, hier spielt also der Stand(-punkt) und der – nennen wir es mal – „Stand in und zu der Welt“ eine Rolle. Und da sind wir uns wirklich so fern, dass wir uns nicht ver-stehen können. Und auch nicht mit gutem Willen („willst Du mich verstehen“) an dieser Diskrepanz vorbei kommen.
Ich beleuchte es am Beispiel von Personen, die aus unterschiedlichen Ländern kommen. Nicht allein die Sprache ist verschieden, auch das Bedeutungsumfeld der verwendeten Begriffe oder sprachlicher Bilder. Hinzu kommen noch die Unterschiede in der Mentalität, also der Grundausrichtung des Geistes, und nicht zuletzt der Sozialisation.
Was in diesem Fall jedem direkt einleuchtet, gilt aber auch für Menschen, die eine vermeintlich gleiche Sprache sprechen und aus benachbarten Gegenden stammen. Man denke nur an die traditionelle Reiberei zwischen Bayern und Preußen.
Aber es gilt – mehr oder weniger ausgeprägt - auch in noch engerem Rahmen, bei Nachbarn aus dem gleichen Wohnort und sogar in der Familie bei Geschwistern.
Die Gefahr eines unüberbrückbaren Abstandes im „Stand zu und in der Welt“, vielleicht als Niveau oder Klasse umschrieben, ist allgegenwärtig. Und es ist für alle Beteiligten ausgesprochen wichtig, dies zu erkennen und weder als intellektuelle Lücke oder als Sperrigkeit des Gegenübers zu interpretieren.
Ein Miteinander, also der verbale oder auch emotionale Austausch und das gemeinsame Arbeiten sind dennoch möglich. Aber nur auf Feldern, wo es im Stand in und zu der Welt Überschneidungen gibt. In der Auswirkung auch in Bereichen, die reglementiert sind und beide Seiten diese Regeln akzeptieren (müssen) – denn auch dieses beidseitige Akzeptieren setzt eine diesbezügliche Schnittmenge der Weltbilder voraus.
Je weiter man sich jedoch von dieser Überdeckung entfernt – aus welchem Grund auch immer – desto schwieriger wird die Kommunikation und gerät dann schnell an Grenzen. Da hilft dann keine Vermittlung oder gutes Zureden. Es geht schlichtweg nicht und ja: „Du verstehst mich einfach nicht.“ – frustriert oder vorwurfsvoll – stimmt leider in diesem Fall.
[Dazu passt auch: Weltoffenheit und Weltoffenheit Teil 2]
[Andere Blogs: Interdisziplinäre Gedanken, Dienstliche Glossen]
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