18 Dezember 2020

Der alte Mann und das Tor

Er steht davor und kramt in der Tasche. Schließlich findet er den Schlüssel und zieht ihn heraus. Über sein Gesicht gleitet ein triumphierendes Lächeln. Nach oben ist es nur ein Balken, nach rechts und links nur zwei Pfähle, achtlos in den Boden gerammt. Dahinter liegt eine wilde Wiese mit einer Handvoll Bäumen, Obstbäumen.

Er tritt ein und macht das Tor sorgfältig hinter sich zu. Er schließt sogar ab. Ein paar Schritte nach vorn und er steht unter dem schönsten Stück in dieser Idylle. Bald werden Pflaumen herunterhängen.
Bald wird der Bagger kommen. Vor dem Tor liegt die Hauptverkehrsader, rechts sind zwei Wohnblocks mit Büros, links ein Metallbetrieb. So kann das nicht bleiben. Irgendwie muss hier für ein einheitliches Bild gesorgt werden.

Der alte Mann setzt sich hin, mitten auf seine Wiese, inmitten der Blumen und wilden Gräser, die eine Erinnerung darstellen an den Familienbesitz. Früher war hier der Garten, weiter hinten das Wohnhaus. Das Haus war das erste, was gehen musste. Stattdessen gibt es jetzt ein Hotel, ganz neu und so eingerichtet, dass die Stadt darin ihre Diskussionsabende abhalten kann.

Der Garten war früher besser gepflegt, aber auch heute strömt er noch eine gewisse romantische Schönheit aus. Der Zaun hat die Zeit nicht überlebt; Nicht, dass ihn jemand abgerissen hätte, aber es tat auch niemand etwas zu seiner Erhaltung.

So stehen von der Familie nur noch der alte Mann und das Tor. Es hat keine Aufgabe mehr, man würde es besser abreißen, weil es mitten in der Landschaft steht, und er hat…
[07/1985. Inspiriert von einem verfallenen Torbogen auf freiem Feld.]

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