Die Bäckersfrau kennt mich schon gut. Jeden Morgen kaufe ich bei ihr frische Croissants, sie lächelt mich an, genießt mein schlechtes Französisch. Hier in Istres mache ich ein paar Wochen Station, will den Herbst ein wenig aufschieben und die Gedanken für die Winterzeit sammeln. Es ist ruhig hier, ich schaue von meinem Balkon hinunter auf den Ort, zwischen den Häusern kann ich die Masten der Boote sehen, die träge im Hafen schaukeln.
Hier gibt es nichts zu beschleunigen, aber auch nichts zu verzögern, die Geschwindigkeit und das Leben scheinen hier unbeeindruckt von der Zeit einem Fluss gleich unveränderlich. Der ewige Kreislauf des Lebens mit Geburt, Ehe und Tod bilden die Grundlage für den dahinströmenden Alltag.
Nachher werde ich das Backwerk in den gut gemilchten Kaffee tunken, im Laufe meines Aufenthaltes komme ich immer mehr zu dieser leichten Variante des Frühstücks. Noch stehe ich aber an der Theke, denke an die sich färbenden Blätter an den Bäumen der Allee und schaue der Bäckersfrau beim Befüllen der Brötchentüte zu.
Zur Mittagszeit liegt der ganze Ort in der Sonne, räkelt sich wie ein junges Mädchen unter den bräunenden Strahlen. Hier und da noch ein paar Fischer, die zur Mittagspause in die Bars am Hafen gehen, eher schlurfend. Es ist die Zeit der Pause, einer kleinen Mahlzeit und der Mittagsliebe. Vielleicht auch ein Kaffee oder ein Glas Wein, savoir vivre.
Um diese Uhrzeit hat der Bäckerladen geschlossen, wie überhaupt in den Stunden das aktive Leben zurücktreten muss. Wer nicht unbedingt zu schaffen hat, lässt sich treiben.
Ich bin an der Reihe und nehme zusätzlich zu meiner üblichen Bestellung noch etwas Süßes. Wegen des überraschten Blicks begründe ich der Bäckerin, dass ich den anbrechenden Herbst auf dem Platz mit Blick auf die Fontaine genießen und mir versüßen will. Sie strahlt und erklärt mir, sie liebe die fröhliche Melancholie der Deutschen, l'heureuse mélancolie des Allemands. Ich frage mich, ob es eine Kritik oder eine Liebeserklärung sein soll, entscheide mich für letzteres und werfe ihr beim Hinausgehen noch einen Kuss zu.