15 September 2020

Politisch engagiert

In seiner Jugend habe er sich sehr für Politik interessiert, aktiv sei er gewesen und nächtelang mit seinen Kumpels diskutiert, wie die Welt zu retten und von der bedrohenden Gesellschaft zu befreien sei. Viel später dann die Freundin, nicht mehr die Mädchen bei den Sit-ins und Demos, nein, echte Liebe und das mit der Welt musste erst mal warten, da kam ja auch ein Kind und das sollte nicht in die Revolution kommen, die als einzige Möglichkeit in Betracht kam. Ja, das wollte er mir mal ganz deutlich sagen, nur eine Revolution kann unsere kranke Gesellschaft noch retten, was damals galt, wäre deshalb kein kalter Kaffee, kein Schnee von gestern, keine ausrangierten Hirngespinste. Manipulation allenthalben, gegen die wir uns auflehnen müssen. Dass ich das nicht sähe?

Einen Kaffee später hat er sich wieder beruhigt, aber lockerlassen wäre nicht sein Ding, inzwischen ist er Bäcker geworden, ein ehrbarer Beruf, kein Zuhälter und Halsabschneider, mit den eigenen Händen schaffen und mein tägliches Brot gib mir heute, das dürfte ich doch aus der Bibel kennen, ganz wörtlich in seinem Beruf und er muss lachen, weil ich ihn irritiert anschaue. Nein, um das mit seinen Worten zu sagen, das wäre keine Kritik an mir, nur an meiner Tatenlosigkeit, die Welt stehe Kopf, Regierungen wie Fahnen im Wind und ausgerechnet die Einflussreichen schauten weg, während die Arbeiter verarscht würden, entschuldigen Sie den Ausdruck, murmelt er dabei, aber ich will ganz offen reden.

In Griechenland damals, auf der kleinen Insel mit den schroffen Felsen habe er mit seinem Rucksack gesessen, kaum Geld in der Tasche aber ein Bild vor Augen, ein Bild von einer besseren Gesellschaft, mit seiner Frau und dem Baby, wie hätte er zu der Zeit an sein Herz denken können, das ihm heute zu Schaffen macht und ihn zwingt, jetzt alles daran zu setzen, die unbedingt notwendigen Änderungen und das Umdenken anzutreiben.

Ganz unvermittelt hält er inne. Schweigt. Schaut mich an und bricht in Tränen aus. 

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