Staubig die Landstraße. Thorsten sitzt neben mir am Lenker eines umgebauten LT, erzählt Anekdoten aus seinem Leben, während auf dem Rücksitz seine Freundin liegt und döst.
Aufgegabelt haben mich die zwei in Salt Lake City, ich will eigentlich auf meinem Weg nach L.A. in das Abenteuerparadies Las Vegas, erleben, was mir andere erzählen, Spielergefühl entwickeln für die Unwirklichkeit einer ganzen realgeträumten Stadt. Aber die Verlockung war zu groß, als ich an der Tankstation auf einem Stein hockend von den beiden angesprochen und zur Mitfahrt in Richtung Sacramento eingeladen wurde.
Das Autoradio hat noch ein Kassettenfach, in Dauerschleife laufen Flower-Power-Titel, Aretha Franklin erkenne ich, die meisten psychodelischen Stücke habe ich noch nie gehört. Ob die Frau auf dem Rücksitz stoned, betrunken oder einfach nur müde ist, bleibt so unklar wie der rote Faden in den Erzählungen meines Fahrers, der mich seit Stunden durch die Wüste kutschiert. Nur nicht liegenbleiben jetzt, mit dem altersschwachen Camper in der Mittagshitze ist es ohnehin kein Spaß, und die Aussicht auf ein Kirschblütengemeinschaft-Camp irgendwo vor LA lockt mich deutlich weniger als meine Gastgeber. Ein Sabbat-Jahr haben sie sich genommen, wird Thorsten lebendig und zurück zu den Wurzeln sei ihre Devise, freie Liebe und bewusstseinserweiternde Drogen spielten eine Rolle. In Deutschland könne man da lange suchen, nur Spießer gäbe es und moralinsaure Genossen, missgünstig weil selbst lebensunzufrieden. Als ob die moderne Welt nur aus Youtube und Whatsapp bestünde, der Körper nicht auch seinen Tribut erwarte und von uns bedient werden wolle.
Seit heute Morgen haben wir schon rund 400 Meilen hinter uns gebracht, sandreich und abwechslungsarm die Landschaft, das Ziel ist der Weg und irgendwelche kleinen Örtchen liegen gottverlassen vor uns, irgendwelche Erhöhungen abseits der Route, irgendwelche Abzweige, die genauso nach Nirgendwo führen wie die kurzen Kommentare von der Rücksitzbank bei geöffnetem Fenster.
Halt jetzt, der LT braucht eine Pause, Thorsten öffnet die hintere Tür, matratzengepflasterter Blechboden lädt in eine Liebeshöhle, in die er mit Miriam hineinklettert. Ob ich mitkommen wolle oder lieber eine Runde um den Block laufen wolle, fragt mich die Mitvierzigerin augenzwinkernd, während sie die Sandalen abstreift und Anstalten macht, auch andere Hüllen fallen zu lassen. Als Antwort lasse ich mich schattenseitig in den Staub fallen, strecke die beifahrersitzgeplagten Knochen und wünsche viel Spaß beim entspannenden Intermezzo.
Miriam sitzt am Steuer, bis Reno noch runde vier Stunden und mir kommen Zweifel, ob ich heil ankomme oder in die Fänge eines liebestollen Teufels geraten bin. Die stolzgeschwellte Brust der Aufzählung vernaschter Anhalter soll mir wohl Mut machen, meine Verklemmung zu überwinden und meinem Körper zu geben, was ich doch auch bei Mahlzeiten dem Genuss folgend machen würde. Unterbrochen wird das Heldenstück nur durch das Mitsingen der Hippiehymnen, Freedom, I’m going home, und Gitarrenjaulen nach Jimi Hendrix. Es ist alles real, surreal, unfassbarer Zeitsprung über Jahrzehnte hinweg in ein fremdes Leben aussteigesüchtiger Menschen aus dem Mittelrand einer wirklichen Gesellschaft.
Der jointgeschwängerte Geruch im Bully ist die olfaktorische Ergänzung zum sinnesflutenden Erlebnis dieser Reise. Die letzte Stunde bis Reno ist angebrochen, wo ich aussteigen und mich zum Lake Tahoe absetzen werde, eine Seeauszeit nehmend mit Beobachtung der Vögel und Fische. Thorsten schläft hinten, Miriam vorne oder jedenfalls bewegt sie den Kopf in der anbrechenden Dämmerung wie in Trance von der einen zur anderen Seite. Sind die beiden nur versehentlich durch das Sieb des Zeitrasters gefallen, hat ein besonderer Umstand sie zu dieser Zeit an diesen Ort und in mein Leben gebracht oder ist das alles ein großer Plan im Zeichen des Wassermanns?
Kurz vor meinem Ziel noch mal Unterbrechung für den Liebesbus, wieder die Einladung, wir stehen auf einem Motelparkplatz, haben gerade ein paar eiswürfelgekühlte Getränke an der altersschwachen Theke des Tankstellenshops geholt. Haben die Beiden tatsächlich eine andere Kassette eingelegt, Judy Garland schnulzt jetzt vom Regenbogen und übertönt die Geräusche von der Matratzenfläche.
Während auch der Sonnenverlauf seinen üblichen Gang macht, lasse ich mich auf die Bank am BBQ-Platz neben der Parkbucht sinken und schließe die Augen.